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Traditionen 'aufgeklärter' Politik in Rußland
Das Russische Reich gilt als Musterfall schrankenloser zentralistischbürokratischer Herrschaft über einen reg- und wehrlosen Sozialkörper. "Gesellschaft" habe vom Staat geschaffen werden müssen; sie sei nie zu jener Eigentätigkeit gelangt, die als eine Grundvoraussetzung für partizipatoris...
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Published in: | Historische Zeitschrift 2003-12, Vol.276 (1), p.75-94 |
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Format: | Article |
Language: | eng ; ger |
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Summary: | Das Russische Reich gilt als Musterfall schrankenloser zentralistischbürokratischer Herrschaft über einen reg- und wehrlosen Sozialkörper. "Gesellschaft" habe vom Staat geschaffen werden müssen; sie sei nie zu jener Eigentätigkeit gelangt, die als eine Grundvoraussetzung für partizipatorische und pluralistische politische Strukturen betrachtet werden kann. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war sie stark genug, einen wesentlichen Beitrag zum Sturz der anachronistischen Autokratie zu leisten, aber zu schwach, um ihre liberalen Ordnungsvorstellungen gegen einen neuen, sozialistischen Monopolismus durchzusetzen. Ohne diesen retrospektiven Befund zu verwerfen, erinnert der vorstehende Beitrag an gegenläufige Entwicklungen und kehrt die Argumentation um. Am Beispiel der adeligen sowie vor allem der städtischen Selbstverwaltung versucht er zu zeigen, daß es neben einer absolutistisch-zentralistischen Politik seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert mindestens gleich wirksame Maßnahmen gegeben hat, denen die Einsicht zugrunde lag, daß die Ressourcen des Reiches nur durch aktives Engagement auf lokaler Ebene annähernd effizient zu nutzen waren. Vor allem in den größeren Städten wuchs — gefördert durch die parallele Industrialisierung, Modernisierung und kulturelle Verwestlichung — eine neue Elite heran, die sich durch ihren transständischen Charakter, regionales Engagement und Bewußtsein, ein reges Interesse an der entstehenden Kommunalpolitik, eigene, relativ homogene Wertorientierungen, Verhaltensweisen und Stile sowie neue Einrichtungen egalisierender Kommunikation (Klubs, Vereine) auszeichnete. Solche Prozesse zu Beginn des 20. Jahrhunderts erinnern, mit der Eigenheit eines besonders kräftigen Impulses vom Dorf, an die Transformation vom "alten" zum "neuen" Bürgertum in Mitteleuropa gut ein halbes Jahrhundert zuvor. |
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ISSN: | 0018-2613 2196-680X |
DOI: | 10.1524/hzhz.2003.276.jg.75 |