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Die Ausschüttung der Notenbankgewinne an den Bund — weder „free lunch“ noch unsittlicher Griff in die Ladenkasse / On the Distribution of Central Bank Profits to the Federal Government: Free Lunch or Act of Piracy

Die langen Jahre, während derer es aufgrund langfristiger DM-Aufwertungen stets zu sehr niedrigen Bundesbankgewinnen (teilweise sogar zu Verlusten) kam, haben eine rationale Diskussion der ökonomischen Rolle von Zentralbankgewinnen und die Einsicht verhindert, daß bei den bestehenden Geldverfassunge...

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Bibliographic Details
Published in:Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 1985-07, Vol.200 (4), p.381-400
Main Author: Görres, Peter Anselm
Format: Article
Language:ger
Online Access:Get full text
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Description
Summary:Die langen Jahre, während derer es aufgrund langfristiger DM-Aufwertungen stets zu sehr niedrigen Bundesbankgewinnen (teilweise sogar zu Verlusten) kam, haben eine rationale Diskussion der ökonomischen Rolle von Zentralbankgewinnen und die Einsicht verhindert, daß bei den bestehenden Geldverfassungen westlicher Länder Notenbankgewinne keine bedauernswerte Ausnahmerscheinung, sondern den Normalfall darstellen. Viele Debattenbeiträge scheinen eher auf prinzipiellem Mißtrauen gegenüber ökonomischen Staatsaktivitäten als auf einer klaren Analyse der Ursachen und Konsequenzen von Gewinnentstehung und -verwendung zu basieren. Die Versorgung der Wirtschaft mit Primärliquidität kann sowohl durch Vorgänge, die zur Entstehung von Zentralbankgewinnen führen, als auch durch die Form ihrer Verwendung berührt werden. Da die Zentralbank aber jeden unerwünschten Liquiditätseffekt durch geeignete Maßnahmen kompensieren kann, bleibt eine ungewollte Verletzung ihrer Geldmengenziele ausgeschlossen. Für eine über die notwendige Deckung des Geldumlaufs hinausgehende Vermögensbildung von Zentralbanken gibt es keine ökonomische Rechtfertigung. Dagegen besteht in den existierenden Geldsystemen bei langfristiger Betrachtung eine geldtheoretische und saldenmechanische Notwendigkeit für die Ausschüttung von Zentralbankgewinnen, da nur so die Entstehung eines Transferproblems durch permanente Finanzierungsüberschüsse der Notenbank verhindert werden kann. Ein Vermögensentzug bei allen Sektoren außerhalb der Zentralbank kommt bereits durch die Gewinnentstehung zustande; er dürfte auch dann die ökonomischen Dispositionen beeinflussen, wenn er nicht mit einem unmittelbaren Ressourcenentzug verbunden ist. Die Ausschüttung von Gewinnen an den Bund ist zunächst eine reine Vermögensübertragung innerhalb des konsolidierten Staatssektors, die keine zwingenden Rückschlüsse auf die Verteilung realer Ressourcen zwischen Staatssektor und Privaten gestattet. Sollte die Gewinnübertragung zur Erhöhung staatlicher Ansprüche an das reale Sozialprodukt führen — wofür es keine ökonomisch rationale Begründung gibt — sind allerdings zinssteigernde Wirkungen zu erwarten. Die Hoffnung auf eine Entlastung der Kreditmärkte durch die Gewinnausschüttung ist dagegen bei rationalem Verhalten der Marktteilnehmer nicht begründet. Als Erscheinungsform der Seigniorage ist der Notenbankgewinn eine Folge der Nichtoder Niedrigverzinsung liquider Bestände, die zu Wohlfahrtsverlusten aufgrund suboptimaler Geldhaltung führt.
ISSN:0021-4027